MICHAEL
Ich hatte Jacob seit dem Tag nicht mehr gesehen, an dem ich beinahe draufgegangen wäre. Ich brauchte einen Grund, ihn wiederzusehen, aber wie sollte ich das Alison beibringen? Ich wollte mich ordentlich bei ihm bedanken. Aber ich konnte ihr ja schlecht sagen, dass ich mit ihm rumhängen wollte. Aus irgendeinem Grund war es mir total unangenehm, sie zu fragen.
Etwa eine Woche später bot sich mir eine neue Gelegenheit. Man könnte sagen, sie fiel mir förmlich in den Schoß. Alison kam in mein Zimmer, und wir fingen an, miteinander rumzumachen. Sie schob mir die Hand unter das Shirt und streichelte meinen Körper, während ich meine Finger in ihren Haaren vergrub. Sie stöhnte gegen meinen Mund, als ich ihr gekonnt an der Unterlippe saugte. Alison lobte mich immer dafür, wie gut ich küssen konnte, aber ich schwöre, ich hatte das nicht an Äpfeln geübt. Das kam einfach so.
„Michael … wir sind jetzt fast drei Monate zusammen. Findest du nicht, dass wir mal … ähm … den nächsten Schritt wagen sollten?“, hauchte Alison heiser, nachdem ich mich von ihrem Mund gelöst hatte.
„Äh … was meinst du denn?“, tat ich unwissend, obwohl ich genau wusste, worauf sie hinauswollte.
„Du weißt genau, was ich meine! Ich warte schon seit zwei Monaten darauf, dass du endlich mal was unternimmst, aber du rührst dich nicht. Worauf wartest du denn noch?“, schmollte Alison.
„Ich finde nur, wir sollten nichts überstürzen, okay?“, sagte ich. Ehrlich gesagt hatte ich selbst keine Ahnung, worauf ich wartete. Es war ja nicht so, dass ich es noch nie getan hätte, aber irgendwie hatte ich gerade nicht das Bedürfnis danach.
„Findest du mich etwa nicht attraktiv?“, fragte Alison.
„Was? Das ist doch Quatsch. Du bist das heißeste Girl auf dem Campus!“, rief ich.
„Übertreib nicht“, kicherte Alison.
„Nein, ehrlich. Ich hätte dich doch gar nicht erst gefragt, wenn ich dich nicht attraktiv finden würde, glaub mir. Ich finde nur, wir sollten noch ein bisschen warten, mehr nicht“, sagte ich und lächelte ihr beruhigend zu.
„Ich verstehe es zwar nicht, aber okay“, sagte Alison und zuckte mit den Schultern. Sie legte ihre Arme um meinen Hals. „Wo waren wir stehen geblieben?“
Unser Schäferstündchen wurde jäh unterbrochen, als Taylor Swifts „Shake it Off“ durch die Wände dröhnte und mir fast das Trommelfell zerfetzte. Ich sage Alison ständig, sie soll ihr Handy lautlos stellen, wenn wir zusammen sind, aber sie hört ja nie auf mich.
„Ups! Tut mir leid. Das ist mein Bruder“, sagte Alison und ging sofort ran.
Ich wartete geduldig, während sie mit Jacob quatschte.
„Ich kann doch kaum zwei Kilo hochheben. Wie soll ich dir denn beim Regal verschieben helfen?“, fragte Alison.
Ich konnte Jacobs Antwort am anderen Ende der Leitung nicht hören, also saß ich einfach nur da und lauschte verlegen diesem einseitigen Gespräch. Deswegen schreibe ich lieber SMS.
Alison kicherte. „Du hast Michael doch gerade erst kennengelernt und willst ihn schon gleich einspannen? Er hat am Samstag bestimmt Besseres zu tun, als dir beim Regalverschieben zu helfen“, sagte sie.
„EBEN NICHT!“, rief ich dazwischen und brachte sie fast dazu, das Handy fallen zu lassen.
„Warte mal kurz“, sagte sie zu Jacob und sah mich fragend an.
„Was?“, fragte sie flüsternd.
„Ich habe dieses Wochenende nichts Besseres zu tun. Ich helfe Jacob gern“, sagte ich laut genug, dass er es am anderen Ende hören konnte.
„Ich dachte, wir könnten dieses Wochenende was zusammen machen“, schmollte Alison.
„Können wir doch danach oder am Sonntag“, schlug ich vor.
Alison seufzte und redete weiter mit Jacob. „Du hast es gehört. Er ist dabei“, sagte sie und legte auf.
Sie drehte sich zu mir um. „Du weißt schon, dass du dich nicht so anstrengen musst“, sagte sie und kniff die Augen zusammen.
Mein Herz setzte kurz aus. Dachte Alison etwa, ich würde mich wegen Jacob komisch verhalten? „Wie meinst du das?“
„Ich habe das Gefühl, du reißt dir ein Bein aus, um Jacob zu beeindrucken. Nur weil er mein älterer Bruder ist, musst du ihm doch nicht gleich gefallen“, sagte Alison.
„Ach, Quatsch. Ich will einfach nur hilfsbereit sein, mehr nicht“, sagte ich schnell.
Alison fixierte mich mit ihren Augen, als wollte sie mich durchschauen, dann zuckte sie mit den Schultern. „Na gut, viel Spaß bei der Knochenarbeit am Samstag.“
Ich atmete erleichtert auf. Das Letzte, was ich wollte, war, dass Alison mich für einen Spinner hielt, der auf ihren Bruder steht.
***
Samstag kam schneller als erwartet, und ich war bereit. Ich hatte schon öfter schwere Sachen gehoben, das sollte also kein Problem sein. Ich ließ mir von Alison seine Adresse geben und machte mich auf den Weg zu seiner Wohnung.
Irgendwie hatte ich gedacht, er würde immer noch außerhalb des Bundeslandes wohnen und dort studieren, aber Alison hatte mir erzählt, dass er endgültig wieder zu Hause sei und sich eine eigene Wohnung genommen hatte. Das bedeutete, dass ich ihn öfter sehen würde.
Ich parkte mein Auto und sah mich um. Es war eine dieser Wohnanlagen mit durchnummerierten Häusern. Ich checkte noch mal Alisons SMS. Er wohnte in Hausnummer 8.
Ich holte tief Luft und klopfte an seine Tür. Ich hörte ein Schlüsselgeräusch, dann ging die Tür auf, und Jacobs lächelndes Gesicht strahlte mich an.
„Hey Mike. Schön, dass du da bist“, sagte er.
Ich räusperte mich. Ich hatte mir auf dem Weg hierher hundertmal eingebläut: „Ich werde mich heute vor Jacob nicht zum Trottel machen!“, also war ich bestens vorbereitet. Ich fühlte mich selbstbewusst. „Klar, kein Problem.“
Ich musterte ihn von Kopf bis Fuß. Er trug Jeans und ein enges T-Shirt mit abgeschnittenen Ärmeln. Wahrscheinlich, um seinen Bizeps zu zeigen. Er hatte ein paar Stoppeln im Gesicht, was ihn noch männlicher und attraktiver machte. Ich war mal wieder grün vor Neid. Wahrscheinlich so grün wie seine wunderschönen grünen Augen. Ich fragte mich, ob er schon mal gemodelt hatte. Wenn ich so aussehen würde, würde ich es sofort tun!
„Tut mir leid, dass ich dich gleich so eingespannt habe. Wir kennen uns ja noch nicht so gut, aber ich dachte, du bist ein lockerer Typ, der das nicht so eng sieht“, sagte Jacob und sah mich erwartungsvoll an, als wollte er meine Zustimmung.
„Ja, klar, ich helfe gern“, sagte ich begeistert.
„Ich war so lange weg, dass ich den Kontakt zu meinen Freunden verloren habe. Oder zumindest zu denen, die mir hätten helfen können“, fügte er hinzu.
„Echt kein Problem, Jacob“, beteuerte ich.
„Gut“, sagte er.
„Also, was genau machen wir jetzt?“, fragte ich.
Jacobs Augen leuchteten auf. „Ich habe da ein geniales antikes Bücherregal entdeckt und keine Lust, die Lieferung zu bezahlen. Also fahren wir zum Laden, holen es ab, schmeißen es auf meinen Truck und bringen es hierher“, sagte er. „Keine Sorge, ich bezahle dich auch für deine Zeit.“
„Ach, das brauchst du doch nicht …“, wollte ich sagen, aber er klopfte mir auf die Schulter und schloss die Tür.
„AB GEHT'S!“, rief er aufgeregt und führte mich zu seinem Truck.
Er wollte dieses Bücherregal wohl wirklich unbedingt haben.
















