Der Wind peitschte ihr eisig kalt ins Gesicht. Olivia war bis ins Mark erfroren, aber sie raffte sich auf und rannte dem Wagen hinterher.
Sie überschätzte den Zustand ihres Körpers und kam nur ein paar Schritte weit, bevor sie wieder zu Boden stürzte.
Die Autotür öffnete sich. Sie sah ein Paar glänzende, maßgeschneiderte Lederschuhe vor sich aufhalten. Langsam wanderte ihr Blick von den Schuhen die Hosenbeine hinauf, bis sie auf Ethans kalten und beunruhigenden Blick traf.
"Ethan...", murmelte Olivia schwach.
Ein Paar schlanker Hände streckte sich ihr entgegen. Wie in Trance glaubte Olivia, einen Schimmer des jungen Mannes zu erkennen, in den sie sich vor all den Jahren Hals über Kopf verliebt hatte. Sie konnte nicht anders, als ihm ihre Hände entgegenzustrecken.
Gerade als sich ihre Hände berührten, zog Ethan seine zurück, löschte das Licht in ihr, nachdem er ihr falsche Hoffnung gegeben hatte, und ließ sie erneut fallen.
Sie hatte sich zuvor nicht verletzt, aber als sie dieses Mal ausrutschte, schnitt sie sich die Handflächen an den Glasscherben auf dem Boden auf. Blut begann von ihren Handflächen ihre Arme hinunterzutropfen.
Ein Schatten schien über Ethans Gesicht zu huschen, aber er blieb unbeweglich.
Olivia war fassungslos. Früher hätte er sie mitten in der Nacht ins Krankenhaus gebracht, selbst wenn sie sich nur in den Finger geschnitten hatte.
Sie erinnerte sich, wie der Arzt kicherte und sagte: "Gott sei Dank hat er Sie rechtzeitig hierhergebracht. Sonst wäre Ihre Wunde von selbst verheilt."
Der Mann vor ihr und der in ihren Erinnerungen waren ein und dieselbe Person. Er hatte die gleichen Augen und das gleiche Gesicht. Rückblickend erkannte sie, dass die Sorge, die er einst für sie gezeigt hatte, nirgends zu sehen war, ersetzt durch einen Hauch von eisiger Gleichgültigkeit.
Mit kalter Stimme sagte Ethan: "Olivia, glaubst du wirklich, ich kenne dich nicht? Du könntest problemlos eine Meile laufen und einen Salto schlagen. Erwartest du wirklich, dass ich dir glaube, dass du nach nur ein paar Schritten hinfällst?"
Er starrte sie an, der Spott in seinen Augen wie ein Messer, das sie durchschnitt.
Olivia biss sich auf die Lippe und versuchte sich zu erklären. "Es ist nicht so. Ich lüge dich nicht an. Ich bin nur ein bisschen schwach, weil ich krank bin—"
Ethan wartete nicht, bis sie zu Ende gesprochen hatte. Er kauerte sich hin und neigte ihr Gesicht nach oben, damit sie ihn ansah. Seine rauen Finger berührten ihre trockenen, aufgesprungenen Lippen.
"Du bist wirklich die Tochter deines Vaters. Ihr zwei seid bis zum Äußersten prätentiös und würdet einen dummen Akt nur für etwas Geld aufführen."
Diese Worte stachen mehr als der kalte Wind und stachen ihr wiederholt ins Herz. Sie schlug seine Hand von ihrem Gesicht weg.
"Mein Vater ist ein aufrechter Mensch. Er würde niemals etwas tun, um jemandem zu schaden!"
Ethan spottete. Er beschloss, diese Angelegenheit nicht länger mit Olivia zu besprechen, und zückte stattdessen einen Scheck aus seiner Brieftasche. Er schrieb achtlos auf den Scheck, hielt ihn zwischen zwei Fingern und platzierte ihn vor Olivia.
"Willst du das?", fragte er.
Fünf Millionen Dollar waren sicherlich kein kleiner Betrag. Es würde Olivia die Kopfschmerzen ersparen, Gelder für die Arztrechnungen ihres Vaters zu beschaffen. Sie nahm den Scheck jedoch nicht an, weil Ethan nicht so freundlich zu ihr sein würde.
"Ich habe aber eine Bedingung", fügte Ethan hinzu und flüsterte ihr ins Ohr. "Dieses Geld gehört dir, wenn du mir nachsprichst: Jeff Fordham ist ein Arschloch."
Olivias Gesichtsausdruck veränderte sich sofort, und ihre Hand schnellte hoch, um ihm eine Ohrfeige zu geben.
Ethan hielt sie auf, indem er sie am Handgelenk packte, und während Olivia sich gegen ihn wehrte, hinterließ sie einen blutigen Handabdruck auf seinem Hemd.
Ethans Griff um sie verstärkte sich, und sein Ton wurde schärfer. "Oh? Du willst es nicht tun? Dann muss er eben im Krankenhaus sterben. Ich habe ohnehin schon einen Grabplatz für ihn ausgesucht."
Tränen strömten über Olivias Gesicht, als sie fragte: "Warum bist du so geworden?"
Der Mann, der einst geschworen hatte, sie zu beschützen und sie für den Rest ihres Lebens zu lieben, war längst verschwunden, ersetzt durch eine rücksichtslose Person, die Freude daran fand, sie zum Weinen zu bringen.
Das schwache Licht der nahegelegenen Straßenlaterne erhellte sein Gesicht und betonte zusätzlich seine Verärgerung und Ungeduld.
"Also wirst du es nicht sagen, richtig?" Er ließ ihren Griff los und zerriss den Scheck langsam in Stücke.
Olivia eilte vorwärts, um ihn aufzuhalten, aber er stieß sie weg und sagte ihr in einem emotionslosen Ton: "Ich habe dir eine Chance gegeben."
Die Papierschnipsel fielen aus seinen Händen, genau wie die Hoffnung, die sie für ihn gehabt hatte.
"Nein! Tu es nicht!" Ungeschickt beeilte sich Olivia, sie aufzuheben, während ihre Tränen weiter flossen. Sie sah aus wie ein Kind, das alles verloren hatte, was es schätzte, ängstlich und hilflos.
Ethan drehte sich um, um zu gehen, und gerade als er in sein Auto steigen wollte, hörte er einen dumpfen Schlag. Er drehte sich um und sah ihre Gestalt bewusstlos am Boden liegen.
Kelvin, der Fahrer, hatte einen besorgten Gesichtsausdruck, als er fragte: "Mr. Miller, Mrs. Miller ist ohnmächtig geworden. Sollen wir sie ins Krankenhaus bringen?"
Ethans Blick war beunruhigend, als er Kelvin ansah. "Machst du dir Sorgen um sie?"
Kelvin war verwirrt. Er arbeitete schon lange für Ethan.
Es war sonnenklar, dass Mr. Miller früher Hals über Kopf in Mrs. Miller verliebt gewesen war, aber seine gesamte Persönlichkeit schien sich zu verändern, nachdem er die Leiche seiner Schwester identifiziert hatte.
Trotzdem war dies die Familienangelegenheit seines Arbeitgebers, also wagte er es nicht, weiter nachzuforschen. Er fuhr einfach weg.
Das Auto fuhr immer weiter weg. Ethan sah Olivia durch den Rückspiegel an und stellte fest, dass sie immer noch nicht aufgestanden war. Der Ausdruck der Verachtung auf seinem Gesicht vertiefte sich.
Anscheinend hatte sich ihr Schauspiel in nur wenigen Tagen verbessert.
Obwohl er sie ein behütetes Leben führen ließ, hatte Jeff Olivia seit ihrer Jugend an verschiedenen Fitnessprogrammen teilnehmen lassen, um zu verhindern, dass sie zum Ziel von Mobbing wurde. Sie hatte einen schwarzen Gürtel in Taekwondo und war eine Expertin in Selbstverteidigung.
Es gab keine Möglichkeit, dass jemand, der so fit und gesund war wie sie, so oft in Ohnmacht fallen würde.
Für ihn spielte Olivia etwas vor, um an Geld zu kommen. Als dieser Gedanke in ihm aufstieg, wandte er seinen Blick vom Rückspiegel ab und weigerte sich, ihr einen weiteren Blick zu schenken.
Als er sah, wie Ethans Auto allmählich verschwand, kam Keith endlich zu Olivia.
Als Olivia wieder erwachte, fand sie sich in dem Zimmer wieder, das sie vor nicht allzu langer Zeit verlassen hatte. Eine Nadel steckte in ihrem Handrücken, und die Infusionsflüssigkeit sickerte langsam hinein. Ihre linke Hand war bandagiert.
Sie sah auf die Uhr, die an der Wand hing, und sah, dass es bereits drei Uhr morgens war.
Bevor sie reagieren konnte, hörte sie Keith mit sanfter Stimme sagen: "Tut mir leid. Ich bin dir gefolgt, weil ich dachte, du würdest etwas Dummes tun."
Als Keith sah, dass Olivia sich im Bett aufsetzen wollte, eilte er ihr zu Hilfe, indem er ein Kissen hinter sie legte. Dann gab er ihr etwas Wasser.
Schließlich öffnete sie ihren Mund, um zu sprechen. "Hast du alles mitbekommen?"
"Es tut mir leid. Es war nicht meine Absicht." Keith war so ernsthaft und aufrichtig, während Ethan das genaue Gegenteil von ihm war.
"Es ist in Ordnung. Ich bin seine Frau. Es gibt sowieso nichts zu verbergen."
Keiths Gesichtsausdruck schien für einen Moment zu erstarren. Olivia bemerkte es und lächelte bitter.
"Richtig. Jeder denkt, Marina ist jetzt seine Verlobte. Es spielt keine Rolle, ob du es nicht glaubst—"
"Nein. Ich glaube dir. Ich erkenne das Design deines Eherings. Es war eine SL Limited Edition. Das ist das einzige Paar, das es gibt. Die Magazine erwähnten, dass der Chef von SL ihn speziell für seine Frau entworfen hat. Und ich weiß, dass Ethan Miller hinter SL steckt."
Damals vermutete Keith, dass Olivia und Ethan zusammen waren, aber er verwarf die Idee, nachdem er den Klatsch zwischen Ethan und Marina gehört hatte. Ethan kam danach auch selten ins Krankenhaus.
Olivia berührte unbewusst die Stelle, an der sie normalerweise ihren Ring trug. Ihr Finger war jetzt nackt, und die Haut, an der der Ring einst gewesen war, war etwas heller als der Rest ihrer Hand – als ob sie sie an ihre lächerliche Ehe erinnern wollte.
"Es spielt keine Rolle, ob ich seine Frau bin. Wir lassen uns morgen um neun scheiden."
"Weiß er von deinem Zustand?"
"Er hat nicht das Recht, davon zu wissen."
















